MEMORANDUM: Stoppt die Planung der A 39!

Scheitert die rot-grüne Koalition bereits vor ihrem Zustandekommen an den Differenzen in der Verkehrspolitik, insbesondere an den Differenzen

hinsichtlich des Baus der A 39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg? Im Getümmel der Koalitionsverhandlungen drohen die Fakten zu Sinn oder Unsinn dieses Straßenbauprojekts unterzugehen. Wir möchten hier in gebotener Kürze, aber mit Nachdruck, noch einmal an die wichtigsten erinnern.

1. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis spricht gegen die A 39

Die geplante A 39 hat bereits jetzt offiziell das ungewöhnlich schlechte Nutzen- Kosten-Verhältnis (NKV) von nur noch 1,9. Es wird sich weiter verschlechtern, da die Planungen noch nicht abgeschlossen sind und die tatsächlichen Kosten die angenommenen 1,1 Milliarden Euro bei weitem übersteigen werden (legt man die Autobahnkilometer-Kostenberechnung des CDU-Wirtschaftsrates zugrunde, auf fast drei Milliarden). Ein Straßenneubauprojekt mit einem derart miserablen NKV hat angesichts der knappen zur Verfügung stehenden Mittel im Bundesverkehrswegeplan nichts zu suchen – zumal Bundesverkehrsminister

Ramsauer mehrfach betont hat, er werde keine Neubauprojekte genehmigen, die ein schlechteres NKV als vier aufweisen.

2. Die wichtigsten deutschen Wirtschaftsverbände fordern den effizienten Einsatz knapper Mittel und den Verzicht auf regionales Proporzdenken

Die neuerliche Ankündigung des Bundesverkehrsministeriums (BMVBS), man werde angesichts der knappen Finanzmittel künftig stärker auf ihren effizienten Einsatz achten, die wiederholte öffentliche Feststellung des BMVBS, dass dabei Sanierungs- und Erhaltungsmaßnahmen Vorrang vor Aus- und Neubauten haben, sowie seine Feststellung, dass Neu- und Ausbauten auf die Beseitigung von Engpässen konzentriert werden sollen, tragen den verkehrspolitischen Erfordernissen und volkswirtschaftlichen Möglichkeiten gleichermaßen Rechnung und machen das Ansinnen, die A 39 zu bauen, vollends haltlos. Diese Absichtserklärungen des BMVBS entsprechen im Übrigen den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft; im Oktober 2012 stellten die 25 wichtigsten deutschen Wirtschafts- und Handelsverbände – vom ADAC über den Bundesverband der Deutschen Industrie, den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, den Deutschen Speditions- und Logistikverband bis zum Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe – in einer „Gemeinsam Erklärung zur Verkehrsinfrastruktur“ die Notwendigkeit des Prinzips ‚Erhalt vor Neubau‘ fest: „Die deutsche Verkehrsinfrastruktur hat zwischen 1980 und 2008 schon ein Achtel ihres Wertes verloren. … 1.500 km Fahrstreifen von Bundesautobahnen und 3.500 km Fahrstreifen von Bundesfernstraßen sind dringend erhaltungsbedürftig. Allein für die nötigste Instandhaltung und Ertüchtigung maroder Brücken müssten in den kommenden fünf Jahren rund sieben Milliarden Euro investiert werden.“

3. Die A 39 ist für die Transeuropäischen Netze (TEN) irrelevant und für die EU-Förderung nicht vorgesehen

Angesichts der verkehrspolitischen und finanziellen Gegebenheiten und Erfordernisse ist das Festhalten der SPD am Bau der A 39 schlicht widersinnig. Denn selbst im Fall, dass die A 39, mit welchem Status auch immer, im Bundesverkehrswegeplan 2015 verbleibt, gilt – oder sollte doch gelten! –, dass die dort aufgeführten Projekte gemäß ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen gewichtet und realisiert werden. Um noch einmal aus der „Gemeinsamen Erklärung zur Verkehrsinfrastruktur“ der deutschen Wirtschaftsverbände zu zitieren: „Investitionen sind nach Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten zu priorisieren. Engpässe sind gezielt zu beseitigen. Der volkswirtschaftliche Nutzen des national und europäisch bedeutenden Netzes ist wichtiger als regionale Proporzinteressen.“ Selbst das BMVBS aber hält die geplante A 39 nicht für einen Bestandteil des „europäisch bedeutenden Netzes“: Zwar hat die abgewählte niedersächsische Landesregierung die A 39 für das von der EU mitfinanzierte Programm der Transeuropäischen Netze (Trans-European Networks, TEN) beim BMVBS angemeldet, das BMVBS hat diese Meldung aber nicht an das zuständige EU-Gremium weitergereicht, hält die A 39 also offensichtlich für transeuropäisch irrelevant. Dass die erklärtermaßen als Transitautobahn geplante A 39 auch regional eher schadet als nutzt, zeigen die diesbezüglichen Kosten-Nutzen-Berechnungen der Straßenplanungsbehörde ebenso wie einige Äußerungen des Staatssekretärs im BMVBS, Ferlemann. Anders als immer wieder behauptet sind denn auch weder der Hamburger Hafen noch VW auf die A 39 versessen. Der Hamburger Hafen wickelt bereits heute 70 % seines Güterverkehrs nicht über die Straße ab und plant sein Verkehrsleitsystem mit Warteparkplätzen entlang von A 1 und A 7 (nicht mal die A 39 bis Lüneburg spielt dabei eine Rolle). VW baut, in der Absicht, seine Transporte vermehrt auf Wasserstraßen zu verlagern, den Wolfsburger Hafen aus. Dass die regionalen IHKs dagegen nehmen würden, was sie kriegen können, ohne dafür bezahlen zu müssen, ist nicht verwunderlich, aber auch kein Argument.

4. Kommt die Autobahn, droht die für das Land teure Abstufung der B4 zur Landesstraße

Wer den Prinzipien volkswirtschaftlicher Vernunft folgen will, muß auf den Bau der A 39 verzichten, zumal es eine verkehrspolitisch sinnvollere, kostengünstigere und ressourcenschonendere Alternative zu ihr gibt. Berechnungen zeigen, dass mit einem 2+1-Ausbau der B 4 die mit der A 39 angestrebten verkehrsinfrastrukturellen Verbesserungen ebenfalls erreicht werden können. Ihr Ausbau wäre im Übrigen auch dann unumgänglich, wenn die A 39 realisiert werden sollte. Denn selbst die Planer der A 39 gehen davon aus, dass sich die Verkehrsbelastung der B 4 nach Fertigstellung der A 39 nicht wesentlich verringern wird – mit all den Folgen, die das für die Anwohner hätte. Der damit so oder so notwendige Ausbau der B 4 (samt Ortsumfahrungen und Lärmschutzmaßnahmen) setzt voraus, dass sie Bundesstraße bleibt. Im Fall einer Realisierung der A 39 würde sie jedoch, das zeigt die gegenwärtige Planung, zu einer Landesstraße zurückgestuft werden – mit fatalen Folgen sowohl für das Land (allein die 35 km zwischen Lüneburg und Uelzen würden den Haushalt jährlich mit ca. 2,1 Millionen Euro belasten) als auch die Anwohner. Denn Landesstraßen können nicht bemautet werden. Damit entfiele die Möglichkeit, den nach Fertigstellung der A 39 nicht etwa abnehmenden, sondern weiter zunehmenden Schwerlastverkehr von der B 4 herunter- und auf die Autobahn zu bekommen – für Mautflüchtlinge wäre eine entwidmete B 4 geradezu eine Einladung. Der heutige B 4-Verkehr würde sich dann über eine Landesstraße schieben, die gewisse Erweiterungsmöglichkeiten schon wegen der knappen Finanzmittel des Landes nicht mehr hätte, über die eine vom Bund finanzierte Bundesstraße noch immer verfügen könnte. Das heißt im Ergebnis: Da ein Ausbau der B 4 in der Anmeldungsliste des Landes für den neuen Bundesverkehrswegeplan nicht aufgeführt, aber unumgänglich ist, muß er unverzüglich nachgemeldet werden.

5. Die A 39 belastet die Umwelt, zerstört Naherholungsgebiete und gefährdet landwirtschaftliche Betriebe

Auf die mit dem Bau der A 39 notwendig verbundene Naturvernichtung, Flächenversiegelung, existenzielle Bedrohung landwirtschaftlicher Betriebe, Zerschneidung der Wildtier-Vernetzung und Zerstörung von Naherholungsgebieten sei hier trotz ihrer grundsätzlichen und zunehmenden Bedeutung lediglich ergänzend hingewiesen. Gerade aus diesen Bereichen werden die Klagen kommen, die schon für sich genommen gute Chancen haben, den Bau der A 39, sollte er denn wider alle Vernunft weiterverfolgt werden, zu verhindern.

Aus all dem folgt: Die Planungen der A 39 sollten sofort gestoppt und die dadurch freiwerdenden planerischen Ressourcen für die Planung eines Ausbaus der B 4 verwendet werden. Zu diesem Zweck muss die A 39 im Bundesverkehrswegeplan 2015 durch das Vorhaben dieses Ausbaus ersetzt werden. Es gibt gegen ein solches Vorgehen keine stichhaltigen, faktengestützten Einwände; seit mehr als 30 Jahren ist in Deutschland ein Zusammenhang von Autobahnbau und wirtschaftlicher Entwicklung nicht mehr nachweisbar. Es gibt zur Abwehr dieser Einsicht nur leere Versprechungen, mantramäßig vorgebrachte Glaubensbekenntnisse, gestrige Dogmen. Es ist Zeit, sich von ihnen zu verabschieden. Jetzt.

Dachverband Keine A39

Bürgerinitiativen gegen die A39

www.keine-a39.de

Dieses Memorandum wurde am 01.02.2013 dem designiertem Ministerpräsidenten Stephan Weil persönlich übergeben.